Jahr der Industriekultur 2020

Vom Heben eines Schatzes

Ob die erste Tageszeitung, der Büstenhalter, Filtertüten, Zahnpasta, Milchschokolade, Rollschuhe, Teebeutel, Feinwaschmittel, die Spiegelreflexkamera oder der FCKW-freie Kühlschrank – alle diese Erfindungen eroberten von Sachsen aus die Welt. Denn Erfindergeist und Tüfteln sind untrennbar mit der industriellen Geschichte dieses Landes verbunden.

Zur sächsischen Industriekultur zählen jedoch nicht nur technische Errungenschaften, die bis heute feste Bestandteile unseres täglichen Lebens sind. Zahlreiche industrielle Baudenkmale prägen damals wie heute Landschaften und Stadtentwicklungsprozesse – ob als industrielle Produktionsstätte, Kulturdenkmal oder Veranstaltungsort. Vor allem aber bietet die sächsische Industriekultur ein stabiles Fundament für wirtschaftliches Wachstum sowie für innovative Branchen wie die Kultur- und Kreativwirtschaft.

Um diesem mannigfaltigen Reichtum sichtbaren Ausdruck zu verleihen, rief die sächsische Staatsregierung das Jahr 2020 zum Jahr der Industriekultur aus und beauftragte die Kulturstiftung des Freistaates Sachsen mit dessen Durchführung. Die Stiftung hatte 2015 den Arbeitsschwerpunkt Industriekultur vom Sächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst übernommen. Seither widmet sie sich erfolgreich fördernd, beratend und vernetzend der Industriekultur als gesamtgesellschaftlicher Aufgabe.

Erfindungen aus Sachsen

Die mit dem Themenjahr verbundenen Ziele waren die Sichtbarmachung, Förderung und Vermittlung des reichhaltigen industriekulturellen Erbes und dessen Wirkungskraft auf die gegenwärtige sowie zukünftige Entwicklung der sächsischen Wirtschaft. Außerdem sollte an immaterielle Werte wie Ideenreichtum, Fleiß und Arbeitsamkeit erinnert werden und die vielen ehrenamtlich für Industriekultur Engagierten gebührend wertgeschätzt werden. Die zur sächsischen Industriegeschichte gehörenden Wandlungsprozesse in neuerer und neuester Zeit sollten thematisiert werden und in gemeinsame neue Zukunftsperspektiven münden – im urbanen wie im ländlichen Raum.

Aufgrund der unterschiedlichen Facetten von Industriekultur war hier vor allem die Netzwerkarbeit für die Kulturstiftung von entscheidender Bedeutung, verbunden mit dem Ziel, spannende Kooperationen mit unterschiedlichen Akteuren der Bürgergesellschaft voranzubringen. So wurden Netzwerkveranstaltungen initiiert und die Website www.industriekultur-in-sachsen.de aufgebaut, die seither die unterschiedlichen Lesarten und Gestaltungsmöglichkeiten von Industriekultur in Sachsen vorstellt. Mittels zahlreicher interaktiver Funktionen entstand eine lebendige, sich stetig entwickelnde Informationsplattform, die von den Akteuren eigenständig aktualisiert wird. Mittlerweile stellen sich dort mehr als 400 Erlebnisorte und Akteursprofile vor und werben für ihre Angebote und Veranstaltungen.

In Kooperation mit dem Online-Radiosender detektor.fm produzierte die Kulturstiftung den Podcast ÜBERALL INDUSTRIEKULTUR!, der bisher mehr als 31.000 Mal angehört wurde. Jede der insgesamt acht Folgen thematisiert einen neuen Aspekt von Industriekultur, der jeweils von zwei Experten besprochen wird. Dabei werden Menschen vorgestellt, die sich beruflich oder ehrenamtlich für Industriekultur engagieren, sie vermitteln oder bewahren. Kreative Köpfe kommen zu Wort, die mit neuen Ideen, Mut und Schaffenskraft ehemaligen Industriegebäuden wieder Leben einhauchen, indem sie etwa die Liegenschaften als künstlerische Experimentierräume nutzen. Die Hörerinnen und Hörer erfahren, warum Industriekultur Heimatgefühle weckt, welche Chancen und Herausforderungen die niedrigschwellige Sanierung industrieller Bauten birgt und wie sich das Thema Industriekultur als touristisches Zugpferd nutzen lässt. Der Podcast steht weiterhin unter www.detektor.fm/serien/industriekultur zum Download zur Verfügung.

Im Rahmen einer Partnerschaft mit Sachsen Fernsehen wurde der Fotowettbewerb #meinblickaufindustriekultur durchgeführt, der Bürgerinnen und Bürger Sachsens dazu aufrief, ihre eigene Perspektive auf Industriekultur fotografisch mitzuteilen. Vor allem Bewohner ländlicher Räume nutzten die Möglichkeit, sich damit künstlerisch am Jahr der Industriekultur zu beteiligen.

Industriekultur ist…

Im Rahmern der Projektförderung der Kulturstiftung standen 2020 in der Sparte Industriekultur Dank einer Erhöhung der Fördermittel rund 350.000 Euro zur Verfügung. Damit konnten 31 Projekte aus ganz Sachsen unterstützt werden. Trotz der Pandemie konnten davon immerhin 24 Projekte stattfinden, 7 wurden nach 2021 verschoben oder verlängert.

Das Veranstaltungsspektrum, das Industriekultur 2020 für Jung und Alt sicht- und erlebbar machte, reichte von Lesungen über Konzerte, Gesprächsrunden, Ausstellungen, Betriebsführungen bis hin zu Tagungen und Rallyes. Um die thematische und regionale Vielfalt der industriekulturellen Aktivitäten zu verdeutlichen, wurden sieben Programmhöhepunkte definiert, die zeitlich und örtlich einen Bogen über das gesamte Jahr spannten: Das interaktive Format »Industrie.Kultur.Rallye« in Crimmitschau, Glauchau und Markneukirchen, verknüpfte ganzjährige die Vermittlung von Industriekultur spielerisch mit einem Outdoor-Erlebnis. Die 4. Sächsische Landesausstellung »Boom. 500 Jahre Industriekultur in Sachsen« präsentierte von Juli bis November den Freistaat als bedeutendes Zentrum der europäischen Industrialisierung und zeigte an sieben authentischen Schauplätzen ein breites kulturhistorisches Panorama der sächsischen Industrieentwicklung (www.boom-sachsen.de). Im August veranschaulichte in Zwickau die 15. Ausgabe der »ibug – Festival für urbane Kunst« (ibug: kurz für Industriebrachenumgestaltung), dass Industriebrachen Experimentier- und Freiräume für künstlerisches Schaffen bieten. Im September fanden außerdem die »Tage der Industriekultur Chemnitz – Zwickau – Erzgebirge« statt, die tiefe Einblicke in die Produktionsabläufe zahlreicher regionaler Unternehmen gewährte. Ein ähnliches Programm aus Stadtteil- und Werksführungen boten auch die »Tage der Industriekultur Leipzig« an. Am 15. Oktober öffnete die Energiefabrik Knappenrode nach langjähriger Sanierung wieder seine Pforten, um als modernes Museum die Geschichte des Lausitzer Braunkohlereviers zu erzählen. Wenige Tage danach lud die Stadt Frankenberg – vorerst nur online – in ihr neues Erlebnismuseum »ZeitWerkStadt« ein, das zahlreiche sächsische Erfindungen präsentiert und damit Sachsens Pioniergeist anschaulich in Szene setzt.

Jahreshighlights

Logo Tage der Industriekultur Leipzig

Dass das Themenjahr zur nachhaltigen Stärkung der hiesigen Industriekultur beigetragen hat, beweist das rege Interesse der Akteure an der Gründung einer Interessengemeinschaft Industriekultur Sachsen, die perspektivisch als gut wahrnehmbares Sprachrohr des Themenfeldes und der Interessen der Akteure im Kulturbereich dienen soll. Außerdem strebt die Kulturstiftung an, die Projektförderung der Sparte Industriekultur weiter auszubauen und damit das zivilgesellschaftliche Engagement für Industriekultur flächendeckend weiter zu stärken. Denn auch nach 2020 wird die Industriekultur in Sachsen Gewicht haben. Denn Industriekultur prägt, lebt und weist in die Zukunft.

Sophia Littkopf  

Projektleiterin des Jahres der Industriekultur 2020 &

Referentin für Industriekultur und Bildende Kunst