Fotograf Jörg Dietrich

Stimmen zur Industriekultur

Erhalten und umnutzen statt abreißen

Der Fotograf Jörg Dietrich erhofft sich vom Jahr der Industriekultur 2020 mehr Aufmerksamkeit für historische Bausubstanz.

Ob prachtvolle Einkaufsstraßen, Bahnhöfe oder Plattenbauten – Jörg Dietrich fotografiert seit vielen Jahren Straßenansichten, nicht nur in seiner Wahlheimat Leipzig, sondern auch in Deutschland und in anderen Teilen der Welt. Dabei lichtet er die Straßenzüge abschnittsweise ab und setzt am Computer die Einzelteile zusammen, so dass lineare Panorama-Montagen entstehen. Seit ein paar Jahren befasst er sich auch intensiver mit Industriekultur, die ihn schon von Kindesbeinen an begleitet hat. Im Interview erklärt er, was ihn besonders an Industriebauten reizt und was er zum Jahr der Industriekultur plant. 

Herr Dietrich, was interessiert Sie genau an Industriekultur?
Als Fotograf schaue ich natürlich in erster Linie auf die Architektur. Nehmen wir mal Leipzig: Hier finden sich mitten in der Stadt zahlreiche große Industriegebäude aus der Zeit der Industrialisierung. Besonders faszinieren mich die Buntgarnwerke in Plagwitz, die ich bereits 2012/13 aufgenommen habe. Diese Bauten haben oftmals neue Baustile in die Städte gebracht, auch in anderen Teilen Sachsens. Man denke zum Beispiel an den Backsteinexpressionismus der Stumpffabriken in Oberlungwitz oder an die kühne Architektursprache der Uhrentürme. Ein besonders schönes Beispiel dafür ist der Turm der ehemaligen Maschinenfabrik Schubert & Salzer in Chemnitz. Aus dieser Architektur spricht der ganze Stolz des Fabrikanten. Früher war ein Fabrikgebäude ja auch ein Aushängeschild für das Unternehmen.

Haben Sie ein Lieblingsgebäude in Sachsen?
Nein, gerade weil ich in den letzten Jahren so viel unterwegs war, habe ich immer wieder Neues kennengelernt. Die Vielfalt ist unheimlich groß. Ich schaue dann immer, was an dem jeweiligen Objekt spannend ist. Sehenswert sind natürlich die Gebäude, die bereits saniert sind. Aber ich fotografiere auch Ruinen, allerdings nur von außen.

Hat Ihr Interesse an Industriekultur auch etwas damit zu tun, dass Sie in Werdau in Südwestsachsen aufgewachsen sind?
Ich denke schon. In Werdau gibt es den Brühl: Der gesamte Bereich zwischen Innenstadt und dem Fluss Pleiße war bis in die 1990er Jahre komplett mit Industriegebäuden bebaut, heute ist fast alles weg. In meiner Kindheitserinnerung war der Brühl dreckig und von dunklen Gebäuden gesäumt. Mittlerweile findet man dort neben einigen wenigen Neubauten vor allem grüne Wiese. Ein anderes Beispiel ist die einstige Feldschlösschen-Brauerei aus dem 19. Jahrhundert, die 2006 nach einem Brand komplett abgerissen wurde. Derzeit stehen in Werdau der Abriss des Bahnhofes und wahrscheinlich auch des alten Art-Deco-Kinos an. Gerade in den kleineren Städten sagt man sich häufiger: „Das brauchen wir nicht mehr.“ Was ich dann gerne hinzufüge, ist: „Solche stadtbildprägenden Bauten wird Euch leider auch keiner zurückbringen, wenn sie einmal weg sind.“

Kann das Jahr der Industriekultur 2020 hier ein Umdenken bewirken?
Durch das Themenjahr gibt es plötzlich eine sachsenweite Aufmerksamkeit für das nicht überall positiv besetzte Thema Industriekultur. In vielen Regionen, in denen nach der Wende ein wirtschaftlicher Niedergang einsetzte und die jungen Menschen weggezogen sind, weil sie keine wirtschaftliche Perspektive sahen, hat man sich lange Zeit selbst klein gemacht. Jetzt sehe ich die Chance, dass wir durch dieses Themenjahr in einen Spiegel schauen und unsere industrielle Vergangenheit positiv spiegeln. Das kann dazu führen, dass wir uns neu mit unserem industriellen Erbe identifizieren und eigene Visionen entwickelt werden, wie man mit dem baukulturellen Erbe umgehen kann. Schließlich gibt es überall in Sachsen zahlreiche kreative Ideen, die zeigen, wie man die alten Gebäude erhalten und umnutzen könnte. Da seien zum Beispiel die Alte Baumwolle in Flöha genannt, die Bahnhöfe in Erlau, Stollberg, Delitzsch oder Glashütte, das Dorf der Jugend in Grimma – man muss nicht nur nach Leipzig oder Dresden schauen, um Vorbilder und Ideen zu finden.

Aktuell bereiten Sie gleich drei Ausstellungen zum Jahr der Industriekultur 2020 vor. Worauf kann man sich denn freuen?
Gemeinsam mit dem Kulturraum Vogtland-Zwickau plane ich eine Schaufensterausstellung in fünf bis sechs Städten im Landkreis Zwickau und im Vogtlandkreis. Dabei werden vor allem Gebäude aus der Region zu sehen sein. Das zweite Projekt ist eine Ausstellung im Leipziger Hauptbahnhof: Dort zeige ich Industriekultur, Bahnhofsgebäude und Stadtarchitektur aus der Zeit der Industrialisierung in Sachsen. Und schließlich arbeite ich derzeit noch an einer virtuellen Ausstellung, die das Thema parallel begleitet.

Herr Dietrich, vielen Dank für das Gespräch.

 

Ausstellungen von Jörg Dietrich:

  • 02.–21.09.2020 „Industrie.Kultur.Bauten – Sächsische Industriegeschichte im Stadtbild entdecken.“, Promenaden Hauptbahnhof Leipzig
  • Schaufensterausstellung: „Industrie.Stadt.Bild – Westsächsische Industriekultur in neuen Perspektiven" – ab 14. August in Reichenbach, ab Ende August in Plauen, ab Anfang September in Crimmitschau 
  • Die virtuelle Ausstellung soll etwa ab Mitte September starten.

Mehr Informationen und Arbeiten: panoramastreetline.de

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